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Der Pädagoge - Gustav Friedrich Dinter

Gelegentlich des Reformationsjubiläums hatte sich Dinter an der Universität habilitiert. Er wollte neben seinen vielen Reisen, die ihn in die unbemittelten Kreise des Volkes führten, auch einen festen Zusammenhang mit den Männern der Wissenschaft und eine stete Anregung durch sie haben. In seinen Kollegs, die er ohne Honorar las, trug er die verschiedenen Meinungen mit ihren Gründen vor, sagte, welche er den Vorzug gäbe, freute dich aber mehr noch, wenn die Jünglinge selbst urteilten.
Er fühlte sich unter seinen Studenten glücklich, scherzte mit ihnen und wirkte durch seinen sittlichen Ernst auf sie ein. Im Winter ließ er sich oft von ihnen ins Kolleg und wieder nach Hause führen, denn er fühlte sich bei schlechtem Wetter sehr unsicher auf der Straße, namentlich wenn es glatt war. Der Mangel der körperlichen Übungen, die sein Vater jederzeit aus Ängstlichkeit verboten hatte, machte sich in seinem Alter recht fühlbar. Seine Studenten liebten ihn wieder. Nie erlaubte sich einer etwas gegen ihn, was ihn hätte beleidigen können. An seinem fünfundsechzigsten Geburtstag, am 29. Februar 1824, überreichten sie ihm ein schön gedrucktes und eingebundenes Gedicht, das ihn so sehr erfreute, daß er es wie ein  Heiligtum aufhob.
Weil ihm das Kolleglesen so viel Freude machte, verlegte er seine Revisionsreisen in die Zeit des Universitätsferien und nur die Abiturientenexamen und die Kandidatenexamen durften ferner seine Universitätstätigkeit unterbrechen. In seinem zweiundsechzigsten Lebensjahr erhielt Dinter einen Ruf als ordentlicher Professor der Theologie nach Kiel. Er hätte dort ebensoviel oder mehr Einnahmen gehabt, als in Königsberg und kaum den dritten Teil seiner bisherigen Tätigkeit. Auch hatte er dort die Aussicht, noch in den Jahren seines herannahenden Alters sein Gehalt unverkürzt zu behalten.
Aber so sehr er sich auch über diese Auszeichnung freute, so hatte er doch sein Preußen und sein Amt in diesem Lande schon lieb gewonnen, daß er nicht ohne Schmerz daran denken konnte,  sich davon loszureißen. Er legte daher die Entscheidung in des Ministers Hand, stellte ihm vor, daß er bei seiner Anstellung in Preußen vergessen habe, seine künftige Pensionierung zu gedenken, ganz abgesehen davon, daß sie nach den wenigen Jahren im preußischen Dienst nur sehr gering ausfallen könne und bat mit Rücksicht auf diese Verhältnisse um seine Entlassung. Der Minister antwortete ihm damit, daß er ihn in Königsberg als außerordentlichen Professor der Theologie mit zweihundert Talern Gehalt anstellte und ihm sagte, bei seiner einstiegen Pensionierung würden nicht die Jahre seines Wirkens in Preußen angerechnet werden, sondern die volle Zeit seines Wirken für die Menschheit.
Ein unvergesslicher Tag war es in Dinters Leben, als der Minister ihm Wahl des zweiten Schulrats in Königsberg unter den von dem Oberpräsidenten von Schön aufgestellten Männern überließ. Der Minister setzte hinzu, er wünsche, daß der neue Schulrat mit Dinter gut zusammen und in späterer Zeit in seinem Geiste weiter arbeiten möge.

Häusliche Freuden

In seiner Jugend hatte Dinter davon geträumt und es sich als höchstes Ziel hingestellt, Dichter zu werden. Viele Arbeiten jener Zeit waren der Ausdruck dieses Wunsches. Aber die Liebe zu Friederike Peck ließ diese Versuche in den Hintergrund treten vor den augenblicklichen Pflichten für sein Studium und vor dem Eifer, etwas Praktisches zu erreichen, damit das geliebte Mädchen bald die seine werden könne.
Später, in seinen verschiedenen Ämtern, hatte  er immer so viel Notwendiges zu tun, daß er bis zu seinem vierzigsten Jahre gar nicht weiter an die Schriftstellerei dachte. Dann aber lernte er den Buchhändler Wagner aus Neustadt an der Orla kennen, und dieser wandte sich mit der bitte an ihn, einen Katechismus, der neu verlegt werden sollte, umzuarbeiten. Dinter zog es vor lieber einen neuen zu schreiben.
Das Büchlein machte Aufsehen und fand starken Absatz. Es folgten in den späteren Jahren pädagogische Schriften, Reden an Schullehrer, ein Erbauungsbuch für Lehrer, Predigten und anderes mehr. In dem Buche „ Malwine, ein Buch für gebildete Mütter“ kommt das Gedicht vor „ Der Bär und die Bienen“. Dinter hatte dieses, wie auch andere Gedichte zur Belustigung seines Sohnes geschrieben. Es ist in Ostpreußen überall, wo Kinder sind, sehr bekannt, ohne daß man oft weiß, daß es Dinter zum Verfasser hat.

Der Bär und die Bienen. Von Gustav Dinter.

In Polen brummt ein wilder Bär:
„ Ihr Bienen, gebt mir den Honig her!
Ich bin so groß, und Ihr seid klein,
Ihr sollt mir wahrhaftig nicht hinderlich sein!“

Und eh` die Bienlein sich versahn,
So klettert er den Baum hinan.
Er klammert sich fest und brummt und brummt,
Das Bienlein summt, das Bienlein summt.

„Ihr Bienlein, gebt mir den Honig her!“
„Es wird nicht´s, Herr Bär, es wird nicht´s, Herr Bär!“
Der Bär steckt schon die Nase hinein:
„Weg da, Ihr Bienen; der Honig ist mein!“

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Die Bienen stechen frisch darauf los:
„Sind wir gleich klein, und du bist groß,
Doch soll´s Deiner Nase gar schlimm ergehn,
Läßt Du nicht gleich den Bienenstock stehn!“

Der Bär wird bös, es hilft alles nicht.
Er knurrt und brummt; das Bienlein sticht.
Wie juckt´s ihn auf Zunge, auf Nase und Ohr!
Er muß entlaufen, der arme Tor.

Die Bienlein jubelten: summ, summ, summ!
Der Bär, der knurrt: brumm, brumm, brumm!
Und als er floh, rief´s Bienchen ihm zu:
„ Soll´s dich nicht jucken, laß andere in Ruh!“

 

Dinter hatte eine riesige Arbeitskraft; aber dennoch hieß es, mit Überlegung die Tage und Stunden einteilen, um so vieles leisten zu können. Darin war er Meister. In Dresden und Görnitz war der Mittwoch Nachmittag der Schriftstellerei gewidmet, in Königsberg der Sonntag. Unter elf Stunden täglich arbeitete er selten; aber oft wurde es deren mehr.
Ihm war die Arbeit eine Freude, und er dankte Gott, daß er ihm die Kraft dazu verliehen hatte. Was er durch die Schriftstellerei erwarb, benutzte er, um anderen wohlzutun. Er selbst lebte anspruchslos, kleidete sich einfach und hatte eine bescheidene Wohnung. Aber das alles fiel ihm nicht schwer, weil es in seinem eigensten Wesen begründet war, und er freute sich dessen, weil es ihm die Mittel gab, andern zu helfen.
In sehr innigem Verhältnis stand er zu seinem Adoptivsohne. Als dieser in Görnitz im Jahre 1808 geboren wurde, nahm Dinter ihn in seine Arme, hielt ihn zum Himmel empor und rief: „ Junge, wenn Gott uns beisammen  läßt,  so sollst du mir zu einem guten und glücklichen Menschen erzogen werden!“ „Er war,“ sagte Dinter später, „vomersten Lebenstag an meine Freude, meine Hoffnung. Sobald ich eine viertel Stunde erübrigte, war ich bei ihm und er bei mir. Von  mir lernte er laufen und reden; in der fünfzigsten Woche seines Lebens sprach er das erste Wort und lief zum ersten Mal alleine.“ Die Beobachtung eines so kleinen Geschöpfes war ihm etwas ganz Neues, Interessantes und ergänzte den Kreis seiner pädagogischen Anschauung. Sobald das Kind an Reinlichkeit gewöhnt war, mußte es in derselben Kammer, in der die Pensionäre mit Dinter schliefen, sein Bettchen neben ihm haben. Dinters Kuß das Letzte seines Tages und sein Kuß das, was ihn erweckte. Keiner von beiden fühlte es, daß nicht die Natur sie verband.
Als der Knabe fünf Jahre alt war, kamen Streitigkeiten zwischen seiner Mutter und Dinter vor. Dinter musste sich von dem Knaben trennen. Sein Herz blutete. Er ging noch einmal, zum letzten Mal, mit ihm spazieren. Da sagte er zu ihm: „ Versprich mir, daß du ein guter Mensch werden wirst.“ Das Kind hob die Händchen empor und sprach innig: „ Großvater, ich verspreche Dir´s vor Gott, ein guter Mensch werde ich gewiß!“
In den nächsten Wochen konnte Dinter vor Sehnsucht nach dem Kinde fast nicht essen, und er wurde ganz elend. Aber Gustavs Mutter starb, nicht lange nach diesem Zerwürfnis, und das Kind kam wieder in seine Hände zurück. Von nun an waren die beiden unzertrennlich. Dinter ließ dem Knaben auch in Preußen die Freiheit und Selbstständigkeit, an die er ihn in Sachsen gewöhnt hatte.
Vielleicht ging er darin manchmal zu weit; aber einen ernstlichen Schaden hatte er niemals davon. Als der Kleine zum Beispiel im Alter von acht Jahren Dinter wie gewöhnlich auf seinen Revisionsreisen begleitete, klagte er in Preußen Exlau: „ Vater, die Zeit wird mir lang, hier sind keine Kinder!“

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„Geh nach Dexen,“ antwortete Dinter, „das sind Kinder.“ „ Ich weiß ja keinen Weg,“ sagte der Knabe. „Du kannst fragen,“ war die Antwort. „Einem Jungen, der so groß ist, gebe ich keinen Wegweiser mit.“ Das Kind lief ab, fand den Weg und kam nachher glücklich wieder zu Dinter zurück. Viel Herzensdank ist Dinter durch diesen Sohn zu teil geworden. Ihr Verhältnis zu einander blieb zeitlebens ein überaus inniges.
Aber wie man seine tiefsten Empfindungen so schwer oft in Worte zu kleiden vermag und seine Heiligstes nicht aller Welt preisgeben möchte, so schreibt auch Dinter darüber nur in seiner Selbstbiographie: „ Mehr sage ich nicht darüber. Wir sind miteinander darüber einig geworden, daß ich von dem, was er mir nach seiner Einsegnung ward, und ich ihm, nichts in meiner Lebensgeschichte aufnehmen will.“
Als Dinter vierundsechzig Jahre alt war, hatte er sich auf einer Revisionsreise schwer erkältet und fiel in eine gefährliche Krankheit. Zwei Frauen seiner Freunde wollten sich in seine Pflege teilen. Aber der sechzehnjährige Gustav trat ihnen entgegen.
„Meinen Vater darf niemand pflegen,“ sagte er, „als ich selbst, und wenn mich´s das Leben kosten sollte!“ Er wich Tag und Nacht nicht von seinem Lager, bis Dinter wieder gesund geworden war. Damals wollte ein Freund den Kranken auf den Tod vorbereiten. Aber Dinter ließ ihn nicht viel zu Wort kommen; er unterbrach ihn: „Lieber Freund, das brauchen Sie bei mir nicht! Wenn der liebe Gott nur flecklose Geister in seinen Himmel nehmen will, so muß er allein darin bleiben. Nimmt er aber alle ehrlichen Leute hinein, so weis ich, daß ich auch hinein komme.“
Im Ganzen besaß Dinter eine kräftige, widerstandsfähige Gesundheit, und er verdankte diese der großen Regelmäßigkeit und Einfachheit seines Lebens in Bezug auf seine Ernährung, dem häufigen Aufenthalt an der frischen Luft, zum Beispiel bei seinen oft zwei- bis achttägigen Fußreisen und der streng festgehaltenen Einteilung seiner vielen fröhlich übernommenen und fröhlich geleisteten Arbeit.
Daß sich vom dreißigsten Jahre ab sein oft zorniges Wesen gemäßigt und einer ruhigeren Gemütsart Raum gemacht hatte, war seiner Gesundheit ebenfalls dienlich. Gesellschaftliche Erheiterung, namentlich im kleinen Kreise, hatte er gern und suchte sie vier Mal wöchentlich des Abends in den Familien der Professoren, Geistlichen, Juristen, Schulmänner, Kaufleuten, Fabrikanten. Ueberall hatte er Beziehungen und überall Freunde. Bis in seine letzte Lebenszeit stand er morgens um fünf Uhr auf. So gern Dinter lebte, und so kräftig sich nach bereits erfüllten Wünschen immer wieder neu zu erstrebende zu Wort meldete, so sorglos und heiter diese Zukunft im Kreise der vielen, mit denen er in Liebe verbunden war, sich ihm auch zeigte, - er fürchtete den Tod nicht.
Seine Lebensaufgabe war erfüllt. Er hatte seinen Sohn zu einem tüchtigen, lieben Menschen erzogen,  er hatte in seiner amtlichen Tätigkeit überall den höchstens Erwartungen entsprochen und einen schönen, sein Herz erfreuenden Erfolg gehabt. Dankbar sagte er: „ Ein Gott, der´s mir hier so wohl gehen ließ, macht alle guten Geister in seinem Himmel glückselig; mich auch. Und wenn er mich droben wieder zum Schulmeister macht und mir ein Heer Geisterchen für seinen Himmel zu bilden anvertraut, so erfüllt er den heißesten meiner Wünsche und macht mich so selig, daß ich selbst Gabriel und Raphael um ihr Herrlichkeit nicht beneide!“