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Dinter als Pfarrer

Das Predigen war für Dinter eine Pflicht, die er von Herzen gern übte. Trotz der vielen Anforderungen, die in dieser Hinsicht an ihn gestellt wurden, hielt er keine Predigt unvorbereitet; in den ersten Jahren lernte er sie auswendig, und reichte die Zeit nicht dazu, so machte er sich wenigstens eine feste Disposition. Licht, Kraft und Innigkeit, diese drei wollte er in allen zu Wort kommen lassen.
Ihm schwebte immer Gedanke vor Augen, „ der Handwerker und der Landmann, sie haben wöchentlich nur diese eine Stunde, in der etwas für die Fortbildung ihres Verstandes, ihres Willens, ihres Gefühls absichtlich getan wird. Pfarrer, wenn du ihnen diese entziehst, es ist grausam. Wenn du nicht alles tust, um sie ihnen so nützlich als möglich zu machen, es ist gewissenlos.“ Jesu Bergpredigt und Pauli Rede in Athen waren von jeher sein Ideal, denn schon als Hauslehrer hatte er immer über die praktische Nutzanwendung der Religion für das Leben nachgedacht. „Beide Männer“, schreibt er, „ philosophieren da nicht über das Unbegreifliche. Sie vereinigen Licht, Kraft, Innigkeit. So mußt du es auch machen.“ Die eigentliche Volkssprache bei dem Predigen lernte er bei seiner Magd Christine, die ihm nach dem Tode des alten Pfarrers die Wirtschaft führte. Er las ihr oft ganze Stellen aus der Predigt vor und ließ sich von ihr sagen, was sie verstanden und was sie nicht verstanden hatte.
Aber er sprach auch mit seinen Bauern darüber und gewöhnte sich dabei an ihre Ausdrucksweise, wie sie sich an die seinige. Allerdings erhielt er bei solchen gemütlichen Reden auch manchmal recht unerwartete Antworten; aber er hatte einen stark ausgeprägten Sinn für das Fröhliche, fand es heraus und freute sich darüber. Es kam zum Beispiel häufig vor, wenn nach einer Disposition predigte, daß er Zeit und Stunden vegaß und die Rede recht lange dauerte. Da sagte einmal ein Bauer scherzend zu ihm:
„Ich wollte nur, daß unser Herr Pfarrer ein paar Finger erfröre.“
„Das ist ein christlicher Wunsch, mein Freund!“
erwiderte dinter. „Woher dieser?“
„Dann würden Sie doch wissen,“ sagte der Bauer, „wie sehr wir frieren, wenn Sie so lange predigen.“

In späterer Zeit sprach Dinter in der Schule einmal über die Geschmeidigkeit der Muskeln. Um die Sache anschaulich zu machen, sagte er: „Seht, zu jedem Buchstaben, den ich ausspreche, gehört eine besondere Muskelbewegung. Wie viel tausende Muskelbewegungen müssen dazu gehören, wenn ich eine Stunde auf der Kanzel predige.“ Ein Schüler meldet sich. „ Sie haben sich versprochen, Herr Pfarrer. Anderhalb Stunden wollten Sie sagen.“
Die Bauern in Kitzscher liebten ihren Pfarrer mit seiner allzeit frischen Art, seiner Teilnahme für ihre Tagesarbeit, seiner warmen Liebe für ihre Kinder. Sie vertrauten ihm und folgten ihm gern. Als zur Zeit der französischen Revolution auch unklare, unzufriedene Gedanken durch die Gemeinde in Kitzscher schwirrten und die Bauern unruhiger wurden, schloß Dinter eine Predigt mit den Worten: „ Ob nach dreißig Jahren in Dresden ein Kurfürst regieren wird oder dreihundert Landesherren, das wißt Ihr nicht. Ich weiß es auch nicht. Aber das weiß ich, es mag dann in Dresden ein Kurfürst regieren oder dreihundert Landesherren, so bleibt für euch Bauern in Kitzscher dreierlei: „Ihr müßt dreschen, Ihr müsst geben, Ihr müßt folgen bis ans Ende der Welt. Amen.“
Dinters Predigt half; die Bauern sahen die Richtigkeit seiner Worte ein. Noch nach Jahren wurden sie von ihnen wiederholt. „Was hilft uns denn alles Tumultuieren? Wir müßen doch dreschen, geben, folgen bis ans Ende der Welt. Amen.“ In seinem Pfarramt in Kitzscher waren Dinter zwei Schulen unterstellt, in denen er den Religions- und den Rechenunterricht selbst übernahm. Dieser Unterricht, diese regelmäßige Beschäftigung mit der Jugend war ihm eine große Freude. Das Hauptspiel seiner Bemühungen war, die Kinder sollten denken, sprechen, fühlen, frei und fröhlich sein. „Viel und vielerlei wissende Bauern“, schreibt er, habe ich damals erzogen, niemals erziehen wollen, wohl aber gebildete Menschen, das Praktische klar erkennende Schriften.“
Unter den vier Lehrern seiner beiden Schulen waren zwei derselben Schneider. Der eine bat Dinter einmal, er möchte doch zum Revidieren der Schule einige halbe Tage in der Feiertagswoche benutzen. Auf die Frage Dinters, warum gerade diese Tage gewählt werden sollen, antwortete der Lehrer: „Ich habe jetzt als Schneider so gar viele Arbeit zu den Feiertagen. Wenn Sie nun kommen, so ist die schule gut versorgt, und ich kann nähen und Ihnen zuhören.“

Dinter erkannte bald, daß zur Hebung der Schulen zuerst die Hebung des Lehrerstandes durch die Ausbildung tüchtiger Seminaristen anzustreben sei. Schon als Substitut hatte er sich daher viel auf seiner Stube mit der Bildung heranreifender begabter Jünglinge beschäftigt; als Pfarrer tat er dies in noch ausgedehnterem Maße. Diese Bestrebungen legten den Grund zu der Aufmerksamkeit, die ihm später von Seiten der Regierung zu teil wurden und zu den Berufungen in größere Wirkungskreise. In den Unterrichtsstunden, in denen nur gesprochen, nicht geschrieben wurde, beschäftigte Dinter seine Hände mit Federnreißen. Er hatte dazu drei Gefäße vor sich, eins mit den ungerissenen Federn, eins zu den gerissenen, das dritte zu den Federstielen.
Kam jemand zu ihm, so war es umständlich, die drei Töpfchen an die Seite zu schafen. Er begrüßte es daher mit Freuden, daß einer seiner jungen Schüler das Stricken verstand und es ihn lehrte. Seitdem zog Dinter in den Stunden das Stricken dem Federnreißen vor; er war darin sehr fleißig, und alle Strümpfe, die in seinem Hause getragen wurden, waren von ihm gestrickt worden.
Erst als er nach Königsberg als königlicher Schul- und Konsistorialrat kam, stellte er diese Beschäftigung als nicht ganz zu seiner Stellung passend ein, um den neuen Landsleuten keinen Anlaß zur Verwunderung zu geben.
Dinters Konfirmandenunterricht hätte man eher Unterredungen eines väterlichen Freundes mit seinen Kindern nennen können, als eine schulgemäße Unterweisung.
Beim Eintritt in die ernsteren Verhältnisse der reiferen Jahre wurde diesen jungen Kindern von Dinter die Religion Jesu mit ihren Nutzanwendung auf das Leben als Führerin mitgegeben. Den Abend des Konfitmationstages brachten die Kinder stets bei ihm zu in vertrautem Gespräch über ihr Vergangenheit, wie über die vor ihnen liegende Zukunft. Jedes von ihnen mußte sich in ein Stammbuch einschreiben. Dabei ereignete sich einmal folgende Tatsache:  Ein vater- und mutterloser Knabe schrieb ein : „Vater und Mutter verlassen mich, aber der Herr nimmt mich auf.“ Danach fiel er Dinter um den Hals und rief weinend: „Und der Herr Pfarrer, mein zweiter Vater, verlässt mich auch nicht.“ Das war eine tiefe Herzensfreude für den liebwarmen Lehrer, und mit recht nennt er solche Scenen „Seligkeit des Pfarrlebens.“

Er verdiente aber auch solche Seligkeit. Niemals wollte er von der Gemeinde als der Hohepriester Aaron angestaunt werden, er wollte viel liebe als Vater Dinter geliebt werden. So besuchte er die Bauern, reiche und arme; keiner hatte vor dem anderen einen Vorzug; nur die schlechtem Rufe standen, die besuchte er nicht.
Er sprach mit ihnen über ihre täglichen Sorgen und Freuden, hatte Einfluß auf ihre Kindererziehung und vermochte viel über sie. Ihre Kinder nahm er auf seine Kniee, scherzte und spielte mit ihnen, und sie hatten ihn schon lieb, ehe sie zu ihm in die Schule kamen. In gemütlicher Unterhaltung konnte er die Eltern über mancherlei aufklären und belehren.
Damals herrschte noch viel Aberglaube und Teufelsglaube in dem Volke; zum Beispiel waren am ersten Mai morgens früh an vielen Häusern und Kuhställen Kreuze angemalt als Schutz gegen Frau Holle, die in dieser Nacht auf den Brocken reisen sollte. Ohne ein Wort des Tadels erzählte Dinter überall, wo diese Zeichen angebracht gewesen waren, und er erreichte dadurch, daß die Betreffenden sich ihres Aberglauben schämten und diese Gewohnheit bald unterließen. Seine Bauernkinder machten der Erziehung Dinters alle Ehre. Sie wurden ordentliche Hausväter, treue Untertanen, gute Menschen und besuchten gern den Gottesdienst in der Kirche.
In seinem Hause hatte Dinter manche wirtschaftliche Unannehmlichkeit zu bestehen, die ihn die treu sorgende Hausfrau sehr vermissen ließ. Seine Christine Bauer, die ihm sechs und ein halbes Jahr die Wirtschaft führte, war zwar eine anständige und ehrliche Person; auch hatte sie selbst einiges Vermögen und war daher mit mäßigen Lohn zufrieden. Aber sie liebte es nicht, Gäste im Hause zu haben, und so vortrefflich sie ihren Herrn Pfarrer verpflegte, so heftig widerstrebte es ihr, seine Besucher zu bewirten. Sie ärgerte sich über die gastfreie Aufnahme, die Dinters gute Bekannten allzeit bei ihm fanden und zeigte ihren Unwillen deutlich. Der Hausherr ließ sich das lange gefallen, da er Christines sonstige gute Eigenschaften wohl zu schätzen wußte. Als sie aber einmal seine Freunde mit der Frage empfing, was sie denn schon wieder wollten? Ob sie keinen Kaffee zu Hause hätten, daß sie ihn wieder hier trinken wollten? da war es ihm zu arg, und er entließ sie.
Ihre Nachfolgerin war in allem das Gegenteil der ordentlichen, zuverlässigen Christine. Dinter litt schwer unter ihrer Wirtschaftsführung und so begrüßte er es mit Freuden als er 1797 nach Dresden berufen wurde und dadurch aus diesen unerquicklichen, häuslichen Verhältnissen hinaus kam.