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Durch freundlicher Nachfrage beim Autor dieses Beitrages, Herrn Stefan Walter von der Geschichtswerkstatt Flößberg e.V., ist es mir erlaubt, diesen Beitrag zu veröffentlichen.

 

Hintergründe der Entstehung

HASAG-Werkzeugmarke; Museum Borna
HASAG-Werkzeugmarke; Museum Borna

Zwischen November 1944 und April 1945 existierte in Flößberg ein Außenlager des KZ Buchenwald. In der Zeit seines Bestehens durchliefen mehr als 1900 Häftlinge zumeist jüdischen Glaubens dieses Lager. Mindestens 235 Menschen starben an diesem Ort. Aufgrund der hohen Sterblichkeitsrate zählt Flößberg zu den berüchtigtsten Außenlagern des KZ Buchenwald.

Die Opfer dieses Außenlagers liegen an verschiedenen Orten begraben – unter anderem auch in der Lobstädter Straße in Borna. Doch warum wurde hier ein Friedhof mit Opfern des Flößberger Lagers angelegt?

Kurz vor der Besetzung des Südraums Leipzig durch die vorrückende US-Armee sind die Häftlinge des Flößberger Lagers am 12. April 1945 “evakuiert“ worden. Es vergehen einige Tage, bis die US-Armee des verlassenen Außenlagers in Flößberg gewahr wird und auf Massengräber im angrenzenden Wald stößt.
Eine Spezialeinheit wird eingesetzt, verhört verbliebenes Personal und Einwohner der angrenzenden Dorfes. Am 28. April 1945 liefert der leitende Offizier W.R. Jonson einen ersten Bericht an das Hauptquartier der 2. US-Infanteriedivision.

Die Bergung der Leichen im Flößberger Wald ist zu diesem Zeitpunkt in vollem Gange. Herangezogen werden hierfür am Ort verbliebene zivile Beschäftigte des Lagers, aber auch bekannte Parteigänger der Nazis aus den umliegenden Ortschaften. Noch ist nicht abzusehen, wie viele KZ-Opfer im Wald gefunden werden.
Doch werden schon erste Vorbereitungen zur würdigen Bestattung der Leichen getroffen. Über Ort und Ablauf der Bestattung ist man sich bereits im Klaren. So schreibt Jonson: „Der Friedhof wird an einem öffentlichen Platz errichtet und die Beerdigungszeremonie wird unter größtmöglicher Beteiligung der Öffentlichkeit vonstatten gehen.“

Aufgefundenes Massengrab im Flößberger Holz, Juni 1945; Sammlung Siegfried Naß
Aufgefundenes Massengrab im Flößberger Holz, Juni 1945; Sammlung Siegfried Naß

Das Ziel dieses Vorgehens lautet: Möglichst vielen Deutschen der näheren Umgebung sollen die Gräueltaten des untergehenden NS-Regimes vor Augen geführt werden. Dieses Vorgehen entsprecht damit genau den Richtlinien der damaligen amerikanischen Kriegsführung – der „Non-Fraternalization-“ und „Re-Education-Policy“.

Die Beerdigung erfolgt zwei Tage nach dem Report am 30. April 1945 in Borna. Als Begräbnisstätte hat die Militärregierung hier ein Grundstück gewählt, welches unmittelbar an der Straße nach Lobstädt gelegen ist.
In fünf unterschiedlich langen Reihen haben tags zuvor stadtbekannte Nationalsozialisten unter Bewachung von US-Soldaten Einzelgrabstellen ausheben müssen.
Am 30. April fordern nun amerikanische Soldaten jeden Passanten in Borna  unmissverständlich zur Teilnahme an der Trauerzeremonie auf. Rolf Überschär, der als Übersetzer für die Bornaer Militärregierung arbeitet, notiert an diesem Tag in sein Tagebuch: „1530 Uhr Rede an die Bornaer Bevölkerung über das Verbrechen von Flößberg gehalten mit anschließender Trauerfeier eines evangelisch, protestantischen Kaplan der amerikanischen Regierung. Besichtigung der Leichen .... Empörung der gesamten Bornaer Bevölkerung. Niemand hatte Ahnung von diesem Verbrechen. Nazibonzen müssen die in Massengräbern zusammengepferchten Leichen ausgraben. Alle werden einzeln beigesetzt“.

Insgesamt werden an diesem Tag in Borna 98 Opfer des KZ-Außenlagers Flößberg in Einzelgräbern neu bestattet. Da es sich bei den beigesetzten Toten um jüdische Opfer handelt, lässt die Militärregierung zur Kennzeichnung der Gräber Holzsterne anfertigen. Das sind 30 x 30 cm große Davidsterne, die von einem halb hohen Holzpfahl getragen werden.
Bis zum Frühjahr 1951 werden die weißschimmernden Holzsterne das Gräberfeld anzeigen.

 

Der Friedhof als Erinnerungsort

Tag der Opfer des Faschismus 1947; Museum Borna
Tag der Opfer des Faschismus 1947; Museum Borna

Tag der Opfer des Faschismus 1948; Museum Borna
Tag der Opfer des Faschismus 1948; Museum Borna

Weiß schimmern nach Ende des Krieges die Davidsterne vom Häftlingsfriedhof hinüber auf die Lobstädter Straße in Borna. Ende April 1945 waren auf Anweisung der amerikanischen Militärregierung 98 Opfer des KZ-Außenlagers Flößberg nach Borna überführt und neu bestattet worden. Die Gräber der Opfer waren als jüdische Grabstätten gekennzeichnet worden. Kein seltener Anblick zu jener Zeit in Deutschland.

Anfang der 1950er Jahre setzt auf dem Gebiet der DDR jedoch eine Umgestaltungswelle ein. Die Orte, die an NS-Verbrechen erinnern, werden konsequent der DDR-Ideologie angepasst. Dabei wird das Erinnern an das individuell erfahrene Leid von der Betonung der kollektiven Leiderfahrung abgelöst. Auch in Flößberg und Borna wird die Erinnerung zur Kollektiverfahrung.

In Borna wird die Umgestaltung der Friedhofsanlage am 21. Juli 1950 einstimmig von den Stadtverordneten beschlossen. Bereits auf der Bauausschusssitzung am 2. August 1950 präsentiert der Bornaer Baurat Kuss einen Umgestaltungsentwurf, der nur noch der Zustimmung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) bedarf.

Der Entwurf sieht die Einebnung der Gräber vor. Stattdessen soll ein nach allen vier Seiten abfallender Hügel auf einem Teil der Gräber errichtet werden. Darauf soll ein roter Porphyr-Quader als Mahnmal aufgestellt, ringsum aber Blumenrabatten angelegt werden. Zusätzlich soll eine Hecke das Gelände umgeben, im Hintergrund bilden Pappeln die Kulisse.
In einem späteren Schreiben an den Kreisausschuss der VVN vom 11. Januar 1951 erläutert Bürgermeister Katz noch einmal die Absicht des Entwurfs: „Die Anordnung der Beete erfolgte in dem Entwurf in Anpassung an die vorhandenen Grabstellen. Dabei soll durch die Zusammenfassung zu größeren Grünflächen mit einem geschlossenen Blumenschmuck gerade das gemeinsame Opfer symbolisiert werden.“

Friedhof OdF, 1955; Museum Borna
Friedhof OdF, 1955; Museum Borna

Die Symbolisierung des „gemeinsamen Opfers“ sieht auch vor, dass das Mahnmal eine verallgemeinernde Inschrift bekommt: DEN LEBENDEN ZUR WARNUNG DEN TOTEN ZUR EHRE. Dem VVN-Kreisvorsitzenden Bauer ist es zu verdanken, dass doch noch ein Hinweis auf den Zweck der Anlage hinzukommt.
Auf der Sitzung vom 12. Februar 1951 schlägt er vor, einen weiteren Spruch auf das Mahnmal zu setzen: „HIER RUHEN 98 OPFER DES KZ LAGERS FLÖSSBERG“. Zudem erhält das Mahnmal einen roten Winkel, die Kennzeichnung für politische KZ-Häftlinge im Lager. Es ist zugleich das Symbol der VVN.

Eingeweiht wird der neu gestaltete Bornaer „Ehrenhain“ am 8. Mai 1951. Die ideologisch geprägte Umgestaltung hat jedoch zur Folge, dass die Erinnerung an die tatsächlich jüdischen Opfer im Lauf der Zeit zunehmend verblasst.
Bis zum Ende der DDR finden regelmäßig zum Tag der Opfer des Faschismus (OdF) Anfang September bzw. zum Tag der Befreiung vom Hitlerfaschismus am 8. Mai Gedenkveranstaltungen statt. Noch heute wirkt diese Tradition fort. Jährlich versammeln sich am 8. Mai engagierte Bürger auf dem Häftlingsfriedhof und gedenken der Opfer.

Umgestaltung des OdF-Friedhofes, April 1975; Museum Borna
Umgestaltung des OdF-Friedhofes, April 1975; Museum Borna

Im Jahr 2010 stellt der Häftlingsfriedhof in Borna eine anerkannte Kriegsgräberstätte dar. Die Stadt Borna ist hierbei  gesetzlich verpflichtet, diese Gräberstätte zur Mahnung für die Zukunft dauerhaft zu erhalten. Im Zuge geplanter Sanierungsmaßnahmen hat die Landesdirektion Chemnitz nun eine Erweiterung des Bornaer Häftlingsfriedhofs eingefordert. Hierzu sollen in Flößberg bestattete jüdische KZ-Opfer nach Borna umgebettet werden. Der bisher ebenfalls als Kriegsgräberstätte anerkannte Häftlingsfriedhof in Flößberg soll danach beseitigt werden.

Was hieße das für die Erinnerung? Die geplante Umbettung der jüdischen Opfer stellt einen bewussten Verstoß gegen religiöse Grundrechte dar, da die Totenruhe nach jüdischem Ritus nach erfolgter Beerdigung nicht mehr gestört werden darf. Und weiter: Am Ort des eigentlichen Verbrechens – Flößberg – würde der letzte authentische Hinweis auf das Lager verschwinden. Sehen so Verantwortung und souveräner Umgang mit der Zeitgeschichte aus?
Nach freundlicher Nachfrage beim Autor dieses Beitrages, Herrn Stefan Walter von der Geschichtswerkstatt Flößberg e.V., ist es mir erlaubt, diesen Beitrag zu veröffentlichen.

Gedenkveranstaltung am 8. Mai 2010
Gedenkveranstaltung am 8. Mai 2010

Wer mehr wissen möchte: 

Stefan Walter, Geschichtswerkstatt Flößberg e.V.