Silvester 1978, frühlingshafte Temperaturen und kein Schnee. Ich kann mich noch gut daran erinnern. Ich war wie jedes Jahr bei meiner Großmutter in Lobstädt und war enttäuscht, das es keinen richtigen Winter gab. An jenem 31. Dezember ging ich noch mal gegen 19 Uhr vor die Tür, alles wie gehabt. Jedoch als wir, ich und meine Großmutter, gegen Mitternacht die Sylvester-Raketen starten wollten, versanken wir bis zu den Knien im Schnee und es war auf einmal bitter Kalt. Ich als 11jähriger Junge freute mich natürlich, für mich war nicht klar welche Katastrophe auf das Land hereinbrach. Väterchen Frost hatte die Republik und ganz Europa fest im Griff.
Der DDR-Meteorologe Dr. Eginhard Peters nahm in diesem Zusammenhang am 2. Januar 1979 zum ersten Mal den in den USA üblichen Begriff „Blizzard“ in den Mund und erklärte in einem ADN-Gespräch: „Der Zusammenprall zwischen sehr kalter Luft im Norden und wärmeren Luftschichten im Süden führten quer über Mitteleuropa zu einer scharfen Luftmassengrenze. Dabei kam es zu Temperaturdifferenzen, die bei einer Entfernung von nur 100 Kilometern 20 Grad betrugen.“ Die Folge dieses Wintereinbruchs zur Jahreswende 1978/79 waren: windverwehte Straßen, Stillstand bei der Reichsbahn und die Kohleförderung bzw. –produktion kam zum erliegen. Die Wärme- und Stromproduktion lag in der DDR schlagartig am Boden. Um der Lage in der Braunkohlenwirtschaft herr zu werden, wurden Hundertschaften von VP-Bereitschaftspolizei, NVA-Angehörigen und Grenztruppen in die Tagebaue und Brikettfabriken geschickt. Am meisten betroffen waren die Tagebaue Espenhain, Witznitz und Zwenkau.
Die LVZ vom 2. Januar 1979 schrieb über die Situation im Tagebau Zwenkau dazu: „Extreme Schwierigkeiten erlebte die Frühschicht am Neujahrstag. Vor vereisten Weichen stauten sich die Züge und auch die Besatzung am Tagebaubunker, dem Nadelöhr der ganzen Kette, hatte erhebliche Störungen zu überwinden ... Was bei normalen Bedingungen wie am Schnürchen abrollt, wird bei ungewöhnlicher Kälte zu einem Kampf mit jedem einzelnen Kohlezug.“ Das gefrorene Kondenswasser in den Druckluftschläuchen sorgte dafür, dass die Kohlewagen nicht mehr zu öffnen gingen. Da die Kohle in unserem Revier einen hohen Wassergehalt besaß, fror die Rohkohle an den Waggonwänden an und die Entladung wurde zu einer der größten Probleme. Nur allmählich verbesserte sich die Wetterlage und am 11. Januar machte sich der Stellvertreter des Ministers für Nationale Verteidigung und Chef der Grenztruppen der DDR, Generalleutnant Peter sowie Generalmajor Lorenz ein Bild von der Situation im Braunkohlenrevier Borna. In diesem Zusammenhang betonte auch der 1. Kreissekretär Helmut Schuster, „daß der selbstlose Einsatz dieser Tage und die Unterstützung der Kumpel durch die Genossen im Waffenrock am ,Blut unserer Wirtschaft’ ein sehr ehrenvolles Kapitel in der Chronik unseres Berg- und Energiearbeiterkreises im 30. Jahr der DDR darstellt.“
Erst Ende Januar beruhigte sich die Situation, doch Mitte Februar kam es nochmals zu einen Wintereinbruch und mit beginn des Frühjahres versanken die Tagebaue im Schlamm. Zum Glück standen die Militär-Einsatzkräfte immer noch zur Verfügung.
Aber nicht nur die Produktion lag lahm, auch der Verkehr, hauptsächlich auf der Schiene. Die Weichen froren wie in den Tagebauen regelrecht zu und mussten unter großer Anstrengung freigelegt werden. Auch durch den anhaltenden Sturm hatte man mit großen Schneeverwehungen zu kämpfen und so waren manche Ortschaft von der Außenwelt abgeschnitten. Damit die Straßen frei blieben, erhielt die Straßenmeisterei Unterstützung von den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG), die mit ihrer Technik zur Seite standen.
Wenn man die Zeitungen der DDR aus dieser Zeit liest ist man überrascht, welche übermenschlichen Leistungen von den Werktätigen vollbracht worden sind. Zum einen auch wahr, ohne Zweifel wurde übermenschliches abverlangt. Dennoch wurde vieles mit Propaganda und Pathos übertüncht. Die wahren Probleme wurden kaum angesprochen und das die Republik vor einem wirtschaftlichen Kollaps stand, wurde verschwiegen. Dieser Wintereinbruch zeigte nicht zum ersten Mal die wirtschaftlichen Probleme dieses Staates auf, gelernt hatte man daraus nicht viel. Wintereinsätze von Militärangehörigen gehörten bis zum Ende der DDR zum gewohnten Bild in unseren Tagebauen.