In diesen Tagen wird in Deutschland und auf der ganzen Welt dem Ende des zweiten Weltkrieges gedacht. Für Borna kam es am 15. April 1945. Dieser Tag ist besonders mit dem Namen von Dr. Walther Thierbach verbunden, der unter Einsatz seines eigenen Lebens die kampflose Übergabe der Stadt gewährleistete. Dr. Paul Walther Thierbach wurde am 4. August 1884 in Limbach/Sa. geboren und war seit 1921 besoldeter Stadtrat und später Bürgermeister von Borna. Nach dem Tod des Ersten Bürgermeisters Dr. Paul Lange 1933 führte weitgehend er die Amtsgeschäfte, auch wenn ihm Paul Munde, ein „alter Nazi“, vor die Nase gesetzt wurde. In den letzten Kriegstagen war Bürgermeister Munde nicht mehr in Borna anwesend. Er hatte sich aus dem Staub gemacht. So blieb alles an Dr. Thierbach hängen. Hier einige Auszüge aus den Erinnerungen seiner Tochter Regine Thierbach: „ Wir wohnten damals in der Kasernenstr. 3 ... Nacht für Nacht kam eines der wenigen Autos, die noch in Betrieb waren, mit abgeblendeten Scheinwerfern, um den Bürgermeister, mein Vater, Dr. Walther Thierbach abzuholen. Sein Platz war in der Befehlsstelle, in der alten Polizeiwache neben dem Rathaus ... Mein Vater rackerte sich ab für die Menschen in Borna, die Stadt, der er seit 20 Jahren diente. Die Not der Kriegsflüchtlinge quälte ihn. Auch wir hatten eine Familie aus Ungarn gastweise bei uns aufgenommen ... Meine Mutter ... selbst arbeitete seit Jahren als MTA im Bornaer Reservelazarett in der Pestalozzischule. Ich war als Studentin dienstverpflichtet in einen Rüstungsbetrieb nach Crimmitschau. In abenteuerlichen Nachtfahrt mit dem Rad kam ich wenige Tage vor den Einmarsch der US-Armee nach Hause und wurde Rot-Kreuz-Helferin ... Nun zum 15. April 1945: Die Amerikaner waren vom Westen her bis in Hörweite angerückt. Plötzlich ein Geschrei im Erdgeschoß unseres Hauses; Offiziere der Hitlerwehrmacht, der Standortkommandant schon angetrunken, grölten herum. Sie meldeten meinem Vater, daß sich die deutschen Truppen nach Osten absetzen werden, ein verzweifeltes Unterfangen, eine wüste Szene. - Mein Vater eilte in die Befehlsstelle und ließ Freiwillige Feuerwehr zusammentrommeln. Die Polizei schickte er nach Hause. Meine Mutter und ich eilten als Rot-Kreuz-Helferinnen an unseren Einsatzort in der Dinterschule. Auf einmal wurden wir zur Polizeiwache gerufen. Zum erstenmal in meinem Leben sah ich KZ-Häftlinge. Sie waren aus Flößberg gekommen; abgemagerte zu Skeletten, schmutzig, verlaust, durstig ... Meinen Vater sah ich nicht. Wie wir später erfuhren, war er mit dem Feuewehrhauptmann Schuster (Polizei-Hauptwachtmeister Gustav Schuster, Anmerk. Autor) und einer weißen Fahne unterwegs zwischen den Fronten.
Die Nazis hatten Borna zur Festung erklärt. Der Bürgermeister widersetzte sich dem sinnlosen Befehl, indem er die gewaltlose Übergabe einleitete. Feuerwehrleute gingen durch die Straßen und forderten die Bürger auf, weiße Laken aus den Fenstern zu hängen. Alles schien gut. Da tauchten Offiziere und Soldaten der Hitler-Wehrmacht wieder auf, wahnsinnig vor Angst. Sie beschimpften meinen Vater als Verräter und stellten ihn an die Wand, um ihn standrechtlich zu erschießen, mit einer Panzerfaust. In diesem atemberaubenden Situation tauchte der Jeep amerikanischer Vorhut auf. Sie nahmen die deutschen Offiziere fest, befreiten meinen Vater und besetzten die Stadt.“ Gegen 18 Uhr überquerten die ersten Truppenteile des amerikanischen 69. Infantrie-Regiments die Gnandorfer Brücke und besetzten die Kaserne und befreiten Borna von der Nazidiktatur. Die erste Bürgermeisterstelle wurde von der amerikanischen Besatzungsmacht an den parteilosen Georg Schott vergeben und Dr. Thierbach wurde wieder zweiter Bürgermeister. Doch im Juli änderten sich die Machtverhältnisse und die russische Besatzungsmacht übernahm Borna. Der amerikanische Stadtkommandant Major James J. Allen bot Dr. Thierbach und seiner Familie an, mitzukommen in den Westen. Doch Dr. Thierbach lehnte ab mit den Worten: „Ich gehöre zu dieser Stadt und zu ihren Menschen. Sie vertrauen mir. Sie haben mir gedankt. Ich habe nichts zu fürchten.“
Da täuschte er sich, er wurde denunziert. Am 13. Juli 1945 erschien die NKWD in der Ratssitzung und verhafteten Dr. Walther Thierbach. Man brachte ihn ins Bornaer Amtsgericht. Laut Zeugenaussagen verstarb er dort kurz vor dem Abtransport nach Bautzen. Er soll auf dem Gefängnishof hinter dem Amtsgericht verscharrt worden sein, dies wurde 1963 durch den Rot-Kreuz-Suchdienst bestätigt.
Dr. Walther Thierbach mit Frau Marianne geb. Heun und seiner Tochter Regine, 1925 (Ortschronik des Museum Borna)