Am 27. März 2007 wurde anlässlich des 50. Todestag in der Galerie „Goldener Stern“ eine Gedenkausstellung mit Werken der Malerin Martha Schrag eröffnet. Vielen ist sie leider kein Begriff mehr. Erst anfangs von den Impressionisten geprägt, wendet sie sich schon bald dem Expressionismus zu, wobei das arbeitende Volk ein großen Platz in ihrer Motivauswahl einnahm. Während des Dritten Reiches war ihre Kunst als „entartete Kunst“ eingestuft und 1950, anlässlich ihres 80. Geburtstages wurde ihr die Ehrenbürgerwürde der Stadt Chemnitz verliehen.
Martha Schrag Geburtshaus, Grimmaer Str. 1
Geboren wurde Juliane Martha Schrag am 29. August 1870 als zweite Tochter des Arthur Leonhard Schrag und dessen Ehefrau Emmy geb. Riemenschneider in der Grimmer Straße 1, vielen Bornaern als Oehmesches Haus bekannt, geboren. Ihr Vater war am benachbarten Amtsgericht Assesor. Lange wohnten die Schrags in diesem Haus nicht. Schon im November 1870 verzog die Familie in die Reichsstraße 18 und von dort im Oktober 1871 in die Bahnhofstraße 8 (ehem. Molkereigeschäft). Hier verbrachte Martha Schrag zusammen mit ihrer Schwester Therese Emmy Elisabeth (geb. 26. April 1869) die ersten Kindheitsjahre. Im Jahre 1876 wurde der Vater an das Bezirksgericht Dresden berufen, von wo er 1884 das Amt des Landgerichtsdirektors in Chemnitz annahm. Schon frühzeitig zeigte sich das malerische Talent von Martha Schrag und ihr größter Wunsch war es künstlerisch tätig zu werden. „Ich zeichnete und malte wie alle Kinder. Früh schon wurde ich zum Talent ,abgestempelt’.“ Doch da machte sie die Rechnung ohne die Eltern. Für sie galt Martha und auch die Schwester als eine „gute Partie“, um sie mit einem angesehenen Mann zu verheiraten, damit würde sich eine Berufsausbildung von alleine erübrigen. Außerdem war es zu dieser Zeit in diesen Kreisen nicht schick, wenn sich ein Mädchen ihres Standes sich mit Kunst beschäftigte. Doch die junge Martha steckte nicht auf. Dabei fand sie große Hilfe bei ihrer Schwester. Auf Reisen und Spaziergängen hatte sie stets ihre Malutensilien dabei. So gehörten Landschaftsbilder zu ihren bevorzugten Motiven. Im alter von 28 Jahren hat sie endlich Erfolg, die Eltern geben nach und sie darf die „Malschule für Damen“ in Dresden besuchen, die 1896 von dem berühmten Maler Robert Sterl gegründet wurde. Derartige Schulen stellten für Frauen die einzige Möglichkeit, sich künstlerisch zu bilden, weil die Akademie der Künste für sie verschlossen war. Nach Chemnitz zurückgekehrt wird sie mit den Problemen der Arbeiterschaft und den sozialen Brennpunkten einer industriellen Großstadt konfrontiert. Neben ihren grafischen Arbeiten, schuf Martha Schrag ihre ersten Gemälde. „Hier fällt die lockere, impressive Handschrift und die zugleich zupackende, kräftige Pinselführung auf, wobei sich Nachwirkungen des Einflusses von Sterl zeigen.“
Frau mit Leselampe, Öl, 1907
1906 besucht Martha Schrag die Ausstellung des Frühexpressionisten Edvard Munch in Chemnitz. Sie schrieb dazu: „Halb Chemnitz war dort und ein Schrei des Entsetzens. Es war höchst amüsant, die entsetzten Biedermänner zu beobachten.“ Das zeigt wohl auch das sie mit ihrer Herkunft abgeschlossen hatte und sich mehr dem Proletariat verbunden fühlte. Immer mehr interessierte sie sich für die „Brücke“-Künstler um Karl Schmidt-Rottluff, der selbst aus Chemnitz stammte. Es wird bestimmt auch persönliche Kontakte gegeben haben. Eines hatten jedoch die Künstler gemeinsam, ihren Freund und Förderer Dr. Adolf Eberhard Thiele (1867-1933). Auf seine Initiative hin entstand 1907 die „Künstlergruppe Chemnitz“. Neben Martha Schrag gehörte Gerorg Gelbke, Alfred Kunze und Gustav Schaffner zu den Gründungsmitgliedern.
Chemnitzer Künstlergruppe mit Selbstbildnis, 1907
Im Jahre 1908/09 absolvierte Martha Schrag ein Studium an der „Malschule für Damen“ in München. Hier erhielt sie Unterricht bei Albert Weißgerber und Adolf Hofer. In München wurde sie auch zum ersten Mal mit den Werken von Käthe Kollwitz konfrontiert. Die Werke von Käthe Kollwitz werden sie im Ausdruck und der Motivauswahl nachhaltig für die nächsten Jahre prägen. Zurück in Chemnitz, entstehen Bilder, die vom schweren Arbeitsaltag erzählen. So entsteht zum Bespiel die Kreidezeichnung „Kohlewerk in Oelsnitz“ (1909), die Farblithografie „Fabrikhof“ (1910) und der Holzschnitt „Arbeitslose“ (1914). Ihr Förderer, Freund und wohl auch heimlicher Verehrer Dr. Thiele schrieb zu ihrer Kunst: „Ohne Großes mit Kleinen vergleichen zu wollen, mag hier konstatiert werden, daß Martha Schrag für unsere kernigen Eisengießer dasselbe geworden ist, was Meunier seinen Kohle- und Bergarbeiter.“ Constantin Meunier (1831-1905) war ein belgischer Bildhauer und Maler, der vor allem das Industriegebiet des Borinage zum Motiv hatte.
In diese Zeit fallen auch ihre ersten Ausstellungen zusammen mit der „Künstlergruppe Chemnitz“. Noch vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges erhielt sie auf der „Bugra“ 1914 in Leipzig für ihre Grafiken einen silbernen Preis. Mit Ausbruch des Krieges werden ihre Bilder expressiver, der streng komponierte, geometrische Bildaufbau sticht hervor. Frauen als Helferin und Trösterin werden zum vorrangigen Motiv. Ganz deutlich wird das bei ihrer Mappe „Stürme“ die 1920 entstand und ein künstlicher Höhepunkt in ihrem Schaffen war. „Hier verarbeitete sie auf beeindruckende Weise das Elend, das der mörderische Krieg angerichtet hatte, und versuchte gleichzeitig die Wirrnisse der Novemberrevolution 1918 künstlerisch umzusetzen.“ (R.W. Müller) Im selben Jahr hatte sie anlässlich ihres 50. Geburtstages ein Einzelausstellung in der Chemnitzer „Kunsthütte“. Dr. Thiel schrieb im Vorwort des Katologes dazu: „ Noch hat uns Martha Schrag nicht das letzte ihrer Kunst gegeben.“
Blatt IV, Das Sterben aus der Mappe „Stürme“, 1920
„Wie viele, viele arme, namentlich alte Leute haben jetzt nicht mal das (Liebe). Man sieht oft auf der Straße jetzt Gestalten, die zum Erschrecken sind.“ So umschreibt Martha Schrag die Situation der Inflationszeit nach dem Weltkrieg. Das spiegelt sich auch immer mehr in ihrem Kunstschaffen wieder. Die entstehenden Holzschnitte veranschaulichen sehr wirklichkeitsnah die Trostlosigkeit, Einsamkeit, den Hunger und die Lebensangst der Menschen.
Vom Verkauf ihrer Bilder allein konnte sie nicht leben. Aus diesem Grunde unterrichte sie schon seit 1906 vereinzelt Schüler. 1910 gründete sie eine Malschule. Vormittags unterrichtete sie Jugendliche und am Abend Studenten, angehende Lehrer und Musterzeichner. Diese offene Malschule betrieb sie bis 1931.
Blick auf die Vorstadt Kappel, 1929
Mit der Machtübernahme der Faschisten 1933 begann für Martha Schrag das dunkelste Kapitel in ihrem künstlerischen Schaffen. Die Künstlergruppe hörte auf zu existieren und 1937 wurden 23 Werke von ihr als „entartete Kunst“ beschlagnahmt. Ein offizielles Arbeitsverbot bekam sie nicht. Jedoch entstehen jetzt Aquarelle, Zeichnungen vom Garten, von Blumen und Stillleben mit Früchten. In einen Brief an ihre langjährige Freundin Johanna Thiele, Tochter von Dr. A. E. Thiele, schrieb sie am 6. März 1939: „Mir geht es soweit gut, trotzdem male ich noch Bilder, die nicht gebraucht werden. Trotzdem.“ Es sollte noch schlimmer für sie werden. Bei einem Bombenangriff auf Chemnitz am 5. zum 6. März 1945 wurde ein Großteil ihres künstlerischen Schaffens zerstört. „Ja, die verlorenen Schätze, und trotzdem lebt der Mensch weiter und macht Pläne für die in Aussicht stehende weit bessere Zukunft. Ja die alte Martha Schrag malt sogar wiederaus den geschenken drei Aquarellkästen, auf geschenkten Papier“ als Martha Schrag dies schrieb, war sie 75 Jahre alt. Sie steckte nie auf, unermüdlich ging es für sie weiter, von Rückschlägen war sie nicht aufzuhalten. Das war sie schon von frühester Jugend gewohnt, als sie sich gegen ihre Eltern durchsetzen musste. Das Ende des Krieges erfasste sie wieder mit neuem Mut. Sie wird Mitglied im Kulturbund und unterrichtet wieder Schüler im Malen. Es entstehen auch erste Aquarelle und Zeichnungen, auch wenn mit großen Schwierigkeiten. Ihre Sehkraft ist stark vermindert, letztendlich arbeitet sie mit einer Lupe.
Anlässlich ihres 80. Geburtstages wurde ihr von der Stadt Chemnitz die Ehrenbürgerwürde verliehen, dazu bekam sie eine Ehrenrente. Für viele ihrer Schüler blieb sie ein bleibendes Vorbild, bis zu ihrem letzten Atemzug war sie künstlerisch tätig. Am 10. Februar 1957 verstarb sie 87jährig in Karl-Marx-Stadt (Name der Stadt Chemnitz von 1953 – 1990) und wurde auf dem Nikolaifriedhof zu Grabe gebracht.
Hanns Diettrich, Bildnisbüste Martha Schrag, 1943