© Copyright ©2009 - 2024 Geschichte Borna. Alle Rechte vorbehalten.

Im Jahre 1905 erschien vom Ludwig Bräutigam „Mein Heimatbuch“. Darin beschrieb er sehr anschaulich seine Kinder- und Jugendjahre im Bornaer Land. Geboren wurde er 1852 in Breitingen. 1858 zogen er mit seinen Eltern und Geschwistern nach Kleinzössen. Mit 11 Jahren schicken ihn seine Eltern nach Borna an das Kgl. Lehrerseminar und später wurde er Pädagoge und Kunstkritiker in Bremen. In den nächsten Zeilen möchte ich ihnen einige Ausschnitte aus diesem Buch vorstellen. Zuerst wendete er sich den Kinderspiele zu, die die damaligen Dorfkinder spielten, aber auch den Städtern nicht fremd waren. Unseren älteren Mitbürgern werden noch einige Spiele davon in Erinnerung sein.
„Das Herrlichste in meinem Dorfjungenleben waren die Spiele, die frohen Kinderspiele. Oh du Lust! Da gab es nichts von der Erkünstelung, der Unnatur, der Gespreiztheit, die sich heutzutage bei den Jugendspielen der Stadtkinder breit machen. Wir hatten keine ausgeklügelten Spiele, die Ordnungsfexe und Pedanten ersonnen haben, damit die Kinder unter der Aufsicht der Erwachsenen züchtig und ehrbar ihr Pensum abarbeiten. Wir tollten darauf los, wie es uns gerade einfiel. Am beliebtesten waren wie auch heute noch „Haschens“, „Pferdens“, „Räuber und Soldatens“, „Mann her!“ „Versteckens!“ Echt sächsische Dialektbezeichnungen! Namentlich für das zuletztgenannte Spiel ist so ein enggebautes Dorf mit seinen Scheunen, Ställen, Bäumen, versteckten Winkeln ein paradiesischer Ort. Wir schnellerten, trieben Reifen, gruben kleine Löcher in die Erde, in die nach bestimmten Regeln Kugeln geworfen wurden, und Sonntags ging es sogar um Geld, um einige Pfennige, denn auch in diesem Punkte wurden wir wahrhaftig nicht verwöhnt. Es wurde ein Stock aufgestellt, auf den jeder seine Kupfermünze legte. Danach warf man, nachdem man angegeben hatte, auf welche Seite das Geld fallen solle, ob auf den Kopf oder das Wappen. Die größte Lust war es uns aber, Sonntags nicht bloß „Räuber und Soldatens“ zu spielen, sondern in den ersten Kampf zu ziehen und ein Dorf wirklich zu überfallen. Wir Groß- und Kleinzössener Jungen nahmen da gewöhnlich Hain ins Auge. Bis hinein ins Dorf rückten wir geschlossen vor, knufften und pufften im eigenen Gebiete die Burschen, die uns gerade in den Weg kamen, und wenn diese unter größeren Jungen und Kleinknechten Hilfe herbeiholten, griffen wir zu einer Kriegslist. Wir rissen scheinbar aus und rannten zum Dorf hinaus. Hatten wir die uns verfolgenden Feinde weit genug hinausgelockt ins Freie, da machten wir Kehrt und gingen zum energischen Angriff über. Wer eingeholt wurde, bekam seine Hiebe mit den Haselstöcken.
Wir angelten Gelegentlich in der Wyhra, ein anderesmal wurde dort gekrebst. Dann wieder ging es durch Wald und Feld, wo ja tausenderlei zu sehen und aufzustöbern ist. So eine geheimnisvoll verborgene reiche Waldlandschaft lag ja um uns herum, daß wir Dorfjungen immer wieder auf neue Entdeckungs- und Eroberungszüge ausziehen konnte.
Im Winter bauten wir selbst, indem einige Bretter zusammengenagelt wurden, kleine Handschlitten, ,Käsehitschen’ genannt. Aus dem Rohre am Flußufer schnitzten wir uns ,Fitschepfeile’, und ein geeignetes Eichenholz war bald gefunden, das zu einem ,Flitzbogen’ diente. Weites Revier in den Höfen und Gärten lag vor uns, in dem wir Schneemänner bauten.
Unsere Reiterpferde bei unseren Spielen waren Haselruten, so recht schlanke und gerade, die man sich aus den Hecken schnitt. Und wir trabten mit freierer Luft auf  unseren Gäulen einher als manche reiche Stadtkinder auf ihren feingeschnitzten Steckenpferden.“

In der Fortführung seines Buches beschäftigte sich Ludwig Bräutigam auch mit der Vorweihnachtszeit, so berichtet er über das Kuchenbacken und das fangen des Festtagskarpfens.
„Eine Herrlichkeit gab es allerdings mehrere Male im Herbste, um die uns feine Stadtkinder beneidet hätten: selbstgebackener Pflaumenkuchen, in dessen Herstellung meine Mutter und mein Vater Meister waren. Mehl, Milch, Rahm stammten ja aus der eigenen Wirtschaft. Und unsere Pflaumen waren die besten, die ich je in meinem Leben genossen habe. Unsere Kuchen- und Stollenherrlichkeit war überhaupt etwas so Entzückendes, daß sie jetzt noch wie ein milder Stern aus meinem Kinderhimmel herausleuchtet. Ging alles bei uns einfach, schlicht, ja herb zu, - an den Festtagen wurde bei dem Backen der Kuchen nicht gespart. Ganze Berge zur Kirmse, zum Erntefeste, zu Weihnachten aufgetürmt! Und auch hier größte Kinderseligkeit, vorher bei der Arbeit mitzuhelfen. Wie fleißig die kleinen Kinderhände beim Entkernen der Pflaumen, beim Äpfelschälen, beim Auslesen der Rosinen, beim Entschälen der Mandeln! Und war dann das Werk gelungen, das mein Vater regelmäßig durch unfehlbar sicheres Backen krönte, dann kein größerer Genuß, als sich am ,Selbstgebackenen’ zu erlaben.
Wurde bei uns beim Kuchenbacken so recht aus dem Vollen gewirtschaftet, so gab es auch eine Festspeise, bei der es nicht knickerig herging: das waren die Karpfen. Kleinzössen hat zwei Teiche: den Gemeindeteich zwischen dem Orte und der Mühle und den in der Flur liegende Buchteich, um den schon seit meiner frühesten Kindheit für mich etwas Geheimnisvolles schwebte. Dort vermute ich heute recht ein verschwundenes Dorf.
In unserem Hause gab es wenig Bücher. Außer Bibel und Gesangbuch nur ein ,Gellertbuch’, das ich sonst nie wieder gesehen habe, und die Bornaer Chronik. Darin las ich gern. Und meine liebsten Kapitel waren die über den - Raubmörder Thiemig und über die ,Wüsten Marken’.

Das dort als im Hussitenkrieg zerstört genannte Rußendorf hat sicher beim Buchteich gelegen. Aus dem Gemeindeteiche gingen gar manchmal die Karpfen bei Überschwemmungen auf immer dahin, aber der Buchteich war sicher, und er trocknete selbst in den heißesten Sommern nicht ganz aus. Dorthin setzte man im Frühjahr ,Fischsatz’, und Anfang November, kurz vor der Kirmse, wurde gefischt, nachdem fast das ganze Wasser durch den hochgezogenen Ständer abgelassen worden war. Diese Aufregung für uns Dorfjungen, wenn endlich die graugefärbten Rücken der wohlgenährten Festkarpfen im seichten Wasser hervorblickten, und wenn endlich die reiche Beute eingesammelt wurde! Auf dem Gute meines Vaters ruhten zwei Gemeinderechte, da früher mit dem Hofe noch ein kleines Besitztum vereinigt gewesen war, ein kleines Haus, in dem jetzt die Schmiede und Dorfschenke ist. Zwölf solche Gemeinderechte gab es nur. Auf  unserem Hof kam also ein Sechstel des Anteils, und so erhielten wir bei diesen Buchteichfischen oft 40 - 50 Pfund Karpfen. Wurde da während der Kirmse im November geschmaust! Der übrig gebliebene Teil kam in Fischkästen, die in der Wyhra oder in der Pleiße bei der Großzössener Mühle bereitstanden. Wir Jungen haben uns nie nötigen lassen, wenn im Laufe des Winters bei festlichen Gelegenheiten dann zum Karpfenholen ausgeschickt wurden.“
Soweit von den Kleinzössener Kindheitserinnerungen von Ludwig Bräutigam. So oder ähnlich waren auch die Erlebnisse der Eulaer, der Altstädter, der Gnandorfer, der Zedtlitzer oder Thränaer Kinder. Auch  wenn Ludwig Bräutigam schon damals Probleme mit den Stadtkindern hatte, aber auch hier in Borna werden die Spiele, Streiche, Festlichkeiten und Kindheitserinnerungen nicht wesentlich anders gewesen sein.

Die Rutschpartie, Wilhelm Busch, 1872
Die Rutschpartie, Wilhelm Busch, 1872